Dienstag, 25. Dezember 2012

Eine außergewöhnliche Weihnachtsgeschichte

Franz Fäsel mit "Keith" in Trakehnen

Dies ist ein Beitrag aus einer Regionalzeitung vom 24. Dezember 1970.
Ich weiß leider nicht wer der Erzähler dieser bewegenden Geschichte ist ...

Zwei alte "Trakehner" trafen sich

Der letzte noch im Hauptgestüt geborene "vierbeinige Flüchtling" wieherte


Ich zitiere ...

Diese Tage sind für viele eine Zeit des Wiedersehens. Autoschlangen und überfüllte Züge beweisen es. Die wahrscheinlich seltenste Begegnung von zwei "alten Bekannten" in dem zu Ende gehenden Jahr erleben wir mit. Der Zufall hat uns den Faden in die Hand gespielt. Wir haben ihn zu Ende gesponnen.  

Es beginnt im altehrwürdigen Rathaus von Höxter. Das Gespräch über die kommunale Zusammenarbeit mit dem benachbarten Holzminden geht zu Ende und gleitet in andere Bereiche. Es springt über die Weser zum Solling, führt in das Trakehner Gestüt Hunnesrück, rührt ein wenig in der Vergangenheit und bleibt schließlich an einem Namen hängen: Franz Fäsel. 

Eine Stunde später sitzen wir dem mittelgroßen schlanken Mann gegenüber, der mit jeder Bewegung und jedem Blick der lebhaften Augen seinen fast 78 Jahren Lügen straft. So bedächtig wie er noch ein paar Scheit Holz in den Ofen schiebt, erzählt der Gestütsoberwärter uns im breitesten Ostpreußisch in der nächsten Stunde vom dem abenteuerlichen Treck der Trakehner Pferde, mit denen er und vorher schon sein Vater und Urgroßvater aufgewachsen sind. 58 einjährige Hengste brachte er im Herbst 1944, teils per Bahn, teils zu "Huf" in die Sicherheit und Stille von Hunnesrück. Noch heute huscht die Freude bauernschlauer List über sein Gesicht mit der ihm die Flucht gelang obwohl ein gewisser Herr "Koch", der damals Gauleiter war, die Pferde nicht weglassen wollte. Die sollten wohl erst mal "mit den Panzern um die Wette laufen". Es war der erste Akt der größten und dramatischsten Flucht von über tausend Pferden, die Jemand das "Heldenstück der Trakehner" nannte. 

Das kleine Zimmer in dem einstigen Klostergebäude von Hunnesrück wird zum Lehrsaal über die Pferdezucht im Allgemeinen und über die Trakehner im Besonderen. Das Kolleg beginnt mit dem Hinweis auf Pythagoras, nicht den "mathematischen", sondern den Trakehnerhengst dieses Namens. Sein Bild ist neben einer Aufnahme von "Altan", den Fäsel mit nach Hunnesrück brachte, und den Fotos einer Enkelin und seiner verstorbenen Frau, der einzige Schmuck an den Wänden. Der Gestütsoberwärter entpuppt sich als ein Gedächtnisgenie. Ohne nachdenken zu müssen zählt er ganze Geschlechterfolgen von Trakehnern auf. Er erzählt von Tempelhüter - "das war der beste Hengst, den wir jemals hatten" - spricht nur in Superlativen und kramt das Bild des Tempelhüter-Denkmals vor dem Schloß in Trakehnen aus einer Schublade. "Hansakapitän von Bussard aus der Hanseatin", "Altan von Hirtensang aus der Alicante", ein prächtiger Fuchs mit Stern und weißen Schippelchen" - die Namen und Beschreibungen purzeln dutzendweise von den schmalen Lippen. 

Ob es noch Pferde in der Bundesrepublik gibt, die vor der Flucht im Hauptgestüt Trakehnen geboren wurden, fragen wir. Franz Fäsels Augen leuchten auf: "Ein einziges, soviel ich weiß". Dann hält der alte Mann wieder das Bild von "Pythagoras" in der Hand, und wir erfahren, das dieser neben vielen anderen mit "Ketzerin" einen berühmten Sohn hatte. Im nächsten Augenblick fällt der Name, der aus einem Gespräch ein Erlebnis werden läßt: KEITH. "Ich kenne ihn vom ersten Tage an. Es war der 20. Dez. 1941." Nachdenklich fügt Fäsel hinzu, dass der Hengst, der zu den besten Vererbern der Nachkriegsjahre zählt, viele Jahre im Landgestüt Celle eine neue Heimat fand." "Und wo steht er jetzt?" Er weiß es nur ungefähr: "In der Nähe von Peine" und nach einer Pause: "Ich werde ihn nicht mehr sehen".

Eine Woche später - wir haben inzwischen die Anschrift von Keith's Altensitz erfahren - sitzen wir wieder in dem kleinen Raum in Hunnesrück und vor uns steht gestiefelt und gespornt im blauen Rock des Gestütsoberwärters - "Das ist noch Tuch, den Rock trug ich schon in Trakehnen" - Franz Fäsel, und auf geht die Fahrt nach Gilde bei Gifhorn. Zwei Stunden später steigen wir auf dem Hof des Bauern Hans Steinbrück (59) - was könnte er anderes sein als Ostpreuße und Trakehnerzüchter - aus dem Wagen. In dem Stall blicken uns aus dem Halbdunkel der Boxen ein halbes Dutzend Pferde entgegen. Fäsel sieht nur Eines: "Da biste ja!" sagt er dann und streichelt mit einer Zärtlichkeit den braunen Hals, als wäre es noch das staksige Fohlen des Dezembertages 1941, und der Hengst spitzt die Ohren und reibt die Nase an dem blauen Rock, als schnupperte auch er einen Hauch Trakehnen... 

"So, nun machen sie mal ein schönes Foto von uns Beiden." Hans Steinbrück führt "Keith" auf den Hof. Fast 30 Pferdejahre, das entspricht 120 Menschenjahren, ist der Fuchs alt. Wir haben immer an einen "Dattergreis" gedacht, wenn von ihm die Rede war. Jetzt machen wir große Augen. Vor uns steht ein Keith, der nicht "aufgestellt" werden muss, um mit der halben Elchschaufel auf der Rechten Hinterhand für das Hauptgestüt Trakehnen Ehre einzulegen. Er präsentiert sich neben seinem Feund seiner Kindheit, als hätte ihm jemand nochmal eine Beschreibung im "Trakehner Hengstbuch" vorgelesen: "Eine glanzvolle Erscheinung, mit trockenem Fundament, guter Körpertiefe und -Breite und schwungvollem Gang". Obwohl unser Hirn mangels Pferdeverstandes das fachmännische Urteil nur unzulänglich zu erfassen vermag, Eines begreifen wir: dass auf diesem alten Bauernhof nicht nur das letzte Pferd aus der Urzelle der Trakehner vor uns steht, das die tausend Kilometer Flucht nach Westen überstand, sondern auch "eines der Besten". 

Als könnte er unsere Gedanken lesen, malt uns Hans Steinbrück den Stammbaum auf ein Blatt Papier und weist voll Stolz darauf hin, dass in "Keith's" Adern sowohl von der Mutter "Ketzerin" wie vom Vater "Pythagoras" her das Blut des berühmtesten Trakehnerhengstes "Tempelhüter" fließt. Dass seine Großmutter väterlicherseits "Pechmarie" hieß, hat ihm zweifellos Glück gebracht. Vor vier Jahren zum Beispiel, als er in Celle schon "abgemustert" werden sollte und der Tierarzt seinem jetzigen Besitzer nicht sagen konnte ob der Hengst noch ein halbes- oder nur ein viertel Jahr leben würde. Hans Steinbrücks Vertrauen in den Fuchs war stärker und er holte ihn "im letzten Augenblick von der Schippe". Und nun hat er bei Ihnen gute Pflege und sein Gnadenbrot??? Steinbrück schmunzelt verschmitzt: "Gute Pflege? Ja! Gnadenbrot? Das ich nicht lache!" Noch immer erfreut sich Keith bester Gesundheit, empfängt er Besuche von "Trakehnerdamen", wiehert er Vaterfreuden entgegen, während sich in den Trakehnergestüten der Bundesrepublik und im Ausland längst seine Enkel und Urenkel tummeln. Und viele sind darunter, die zu den "Besten" gehören. 

In Hunnesrück aber drückt uns ein alter Mann, der mit Trakehnen und seinen Pferden aufgewachsen ist, die Hand: "Dass ich den Keith noch einmal gesehen habe, ist mein schönstes Weihnachtsgeschenk." Silvester wird Franz Fäsel 78 Jahre alt und beim letzten Glockenschlag des alten Jahres sein "Freund Keith" im Steinbrück`schem Stall in Gilde 30, denn alle Pferde haben hier am 1. Januar Geburtstag....


Hier noch einmal ein Bild von "Keith". Er wurde übrigens echte 35 Jahre alt.



1 Kommentar:

  1. Danke für diese rührende wunderbare Geschichte!
    Lieben Gruss Elke

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