Mittwoch, 9. Mai 2012

Das natürliche Fressverhalten des Pferdes Teil 3



... Fortsetzung von Teil 2

Man muss sich einmal klarmachen dass ein normaler Warmblüter mit gesunden Zähnen, um ein Kilogramm Heu zu fressen, im Durchschnitt 40 Minuten braucht und dazu circa 5250 Kauschläge benötigt, welche dann das sich im Stall so gemütlich anhörende Mahlgeräusch ruhig fressender Pferde erzeugen. Auch beim Strohverzehr liegen ganz ähnliche Werte vor, nur dass es noch fünf Minuten länger dauert und 400 Kauschläge mehr braucht, um ein Kilogramm davon zu zerkleinern. Zeitlich besser für den Besitzer, der vielleicht etwas mit seinem Pferd unternehmen will, jedoch für das gelangweilte, eingesperrte Tier wesentlich ungünstiger, sieht es beim Füttern von Hafer aus. Um ihn bedarfsgerecht zu zermahlen benötigt das Pferd bei ganzen Körnern nur noch zehn Minuten und 830 Kauschläge, bei gequetschtem natürlich entsprechend weniger. Auch für die heute viel verwendeten verschiedenen pelletierten Mischfuttermittel liegen ganz ähnliche Zeit- und Kauschlägewerte vor. Wen wundert es da noch, dass sich die zwar satten, jedoch von der üblichen Einzelhaft angeödeten Tiere mit der Stroheinstreu vergnügen?

Die durchschnittliche Fressdauer erwachsener Hauspferde beträgt in der Regel zwischen 12 und 16 Stunden täglich.

Auf schlechten Böden mit nährstoffarmen Gräsern oder bei mangelhaftem Bewuchs kann sie bis auf 18 Stunden und mehr ausgedehnt werden, wobei säugende Stuten immer am längsten von allen mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt sind. Hinsichtlich der Stundenzahl sind auch deutliche rassemäßige Unterschiede festzustellen. So weidete zum Beispiel eine Norwegerstute, welche gemeinsam mit Sorraia-Pferden dasselbe Freilandarreal teilte, täglich circa zwei Stunden länger als ihre aus Südportugal stammenden Gefährtinnen. Mindestens zwölf Stunden am Tag zu fressen, mutet uns zivilisationsbeleckten Westeuropäer geradezu plebejisch an, da wir nur allzu gerne bereit sind unsere menschlichen Modetorheiten, die uns vorgaukeln wollen dass nur ein leicht kachektisches Lebewesen schön sei, auf unsere unschuldigen Pferde zu übertragen, die ganz sicher einen aufgezogenen Bauch und durchschimmernde Rippen für nicht besonders erstrebenswert halten.

So befremdlich uns die zwölfstündige Nahrungsaufnahme auch erscheinen mag, sie ist dennoch etwas sehr Sinnvolles und keineswegs auf die vielgeschmähten unedlen Pferde beschränkt. Das gesunde Bestreben möglichst fett zu werden, gewährleistet in der Natur das Überleben des Einzeltiers und das der Art, wenn die guten Jahreszeiten mit ihrem reichlichen Nahrungsangebot wieder den dürftigen Monaten zu weichen pflegen. Alle freilebenden Vertreter der Einhufergattung müssen sich deshalb rechtzeitig einen lebensnotwendigen Fettvorrat zulegen, von dem sie dann in der schlechten Jahreszeit zehren können. In den kühlen Gegenden der gemäßigten Zonen, zu denen ein Großteil des ehemaligen Verbreitungsgebietes der echten Wildpferde gehört, ist es der schnee- und frostreiche Winter den es zu überdauern gilt. In den heißen Gebieten, heute also vor Allem in der Heimat der Zebras, Wildesel und mancher Halbesel entspricht ihm die Trockenzeit, in der das Grünfutter zum nährstoffarmen, bloßen Ballstfutter verdorrt. Besonders die unverkreuzten alten Ponyschläge, die bei uns ja fast alle aus der mehr oder weniger nördlichen, zum Teil recht kalten und vielfach ziemlich unwirtlichen Gebieten mit langen, manchmal sehr schneereichen Wintern stammen, zeichnen sich häufig durch eine extreme Fresssucht und daraus resultierend am Ende der futterreichen Monate durch einen besonders starken Fettansatz aus, ohne den sie den rauhen Winter Skandinaviens im Wildleben nicht hätten überstehen können. Kommen solche Rassen bei uns dann während des Sommers zu lange auf zu üppige Weiden, verfetten sie bis zum Herbst oft ungeheuerlich.

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2 Kommentare:

  1. Annette, ich finde die Idee einfach klasse, über die Fressgewohnheiten von Pferde so ausführlich zu schreiben, wäre ich selbst nie drauf gekommen.

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  2. Tja, manchmal habe ich auch gute Ideen... aber nur manchmal:-)
    Ich finde diese grundlegenden Themen bei Pferden zudem extrem wichtig, da das natürliche Verhalten der Pferde in unserer spinnigen Welt immer mehr in den Hintergrund tritt und von Dingen wie Shows, Turniere, unnatürliches Styling und unnatürlicher Fütterung und Haltung verdrängt werden. Die millionenjahrelange Evolution des Pferdes und das daraus resultierende Verhalten lassen sich aber nicht einfach verdrängen, ohne erheblichen Schaden bei unseren Pferden anzurichten.

    LG Annette

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