Mittwoch, 26. Dezember 2012

Weihnachten 1944 mit schwerwiegenden Folgen


... Bauer Grosan hat gegen Abend das Vieh und seine beiden Pferde beschickt, hat mit "Hans" und "Liese" die übliche kurze Abendunterhaltung geführt, die immer damit endet, dass beide nicht mehr jungen Braunen ihre weichen Pferdenasen fast liebkosend an das stoppelige Gesicht ihres Herrn stupsen. Es ist der Abend vor Weihnachten. Nun steht er sinnend vor der Stalltüre und raucht ein Pfeifchen. 

"Gewiss ist der Wagen fertig" denkt er "aber Gott möge mich behüten ihn so benutzen zu müssen".
 Bei diesen Gedanken  sieht er über dem großen Wald den Himmel sich röten, das Unheil nimmt seinen Lauf. "In vier Stunden müsst ihr Anschluss an den großen Treck haben", lautet die Nachricht, die ihn bald von seiner Gemeinde erreicht.

Das Vieh wird losgemacht und kräftig mit Futter versorgt und den Bauern mit seiner Frau ziehen schnaufend die beiden Braunen über die schneeverwehten Wege, Richtung Westen.

Doch schon in der Nacht wird der lange Treck durch ein markerschütterndes "Stoi" und eine Anzahl Schüsse auseinandergerissen. Der treue "Hans" liegt verendend in seinen Sielen und während der hinkende Bauer Grosan, zusammen mit vielen anderen Männern den Marsch nach Russland antreten muss, spannt die Bäuerin geistesgegenwärtig die "Liese" aus und gewinnt mit ihr wieder den Anschluss an den Treck gen Westen. Der Weg ist schwer, nicht nur für die Bäuerin, sondern auch für Liese, doch beide wollen leben und kämpfen sich durch das schneeverwehte und eisigkalte Land.

Nach den Bangen um das Los des Mannes, tritt die Sorge um das Futter für den vierbeinigen Gefährten in den Vordergrund. Doch es gelingt der Bäuerin, mit Hilfe von Weggenossen, sich mit ihrem Pferd durchzuschlagen und die Elendsstraßen zu überwinden, um letztendlich in einem Dorf des Westens Unterschlupf für sich und ihr Pferd zu finden.

Während Bauer Grosan lange Jahre im Osten Frondienste leisten muss, welche er nur durch seine derbe Bauernnatur übersteht, steht seine Frau tapfer am Scharwerk und "Liese" muss durch Gespanndienste unter fremden, lieblosen Händen ihr Leben fristen. Noch oft, wenn ihr abends das Futter gestreut wird, sucht ihre Nase wie früher das Gesicht ihres Herrn. Noch oft spitzt sie die Ohren, um nach der Stimme zu horchen, die zu Hause zwar hart aber doch vertraulich ihre Pferdeseele beeindruckt hat. Kein "Hans" mehr an ihrer Seite, kein Herr, der ihr so kräftig und doch so liebevoll aufs Hinterteil klopfte. Nur am Sonntag, wenn alle Arbeit ruht, schleicht sich die Bäuerin in den Stall an Lieses Seite. Sie legt ihre Arme um den noch immer schönen Hals der Stute und drückt ihr zerfurchtes Gesicht an deren Nase. Dann stehen sie eine Weile ganz still. Ob auch Liese erfassen mag worum es geht? Und die Bäuerin sitzt dann wohl ein, sogar zwei Stunden auf der leeren Kiste am Kopfende ihres Pferdes und spricht leise von dem, was ihr Herz bewegt, so als solle auch die treue Liese um Alles Bescheid wissen. Sie, die über zwölf Jahre lang den Bauern in der Heimat diente und deren Rücken dem damals heranwachsenden Erbsohn einen Großteil seiner Welt bedeutete - und scheint es nicht, als ob das Tier an Allem Teil nimmt?
Lieses Kopf geht langsam auf und nieder, hin und her, während die Kette leise klirrt und wieder scharrte sie mit den Hufen, so als wollte sie sich besonders vernehmlich zeigen. Dann schweigen Beide und langsam geht die Bäuerin wieder in ihre Kammer zurück. Der Feiertag ist zu Ende ...

Während die Beiden jahrelang so leben, ist Bauer Grosan wieder im Westen angelangt und findet nach vielen Mühen seine Frau. Die große Wiedersehensfreude verdrängt den Kummer des Alltags. Schon am nächsten Abend geht es zu Liese. Der harte Mann steht bange vor der Stalltüre, wie ein kleiner Junge vor dem Weihnachstisch. Dann betritt er den Stall. "Na Lieske?!" In diesen beiden Worten des ostpreußischen Bauern liegt alles enthalten, was er nach jahrelanger Trennung zu sagen hat. Es folgt ein derber Klapps auf Hinterteil und Hals, doch dann gleitet fast behutsam die harte Hand über den immer noch schönen Kopf der alten Stute. Liese spitzt die Ohren und ein kurzes Wiehern gibt die Antwort.

Nach langen, bitteren Jahren erfährt Bauer Grosan wieder das Wohlgefühl, wenn eine weiche Pferdenase an seine eingefallenen Wangen stößt. Noch lange steht an diesem Abend das heimatlose Bauernpaar um seine Liese, die ihnen nunmehr Alles bedeutet, denn auch der Erbbauer kommt nicht zurück. Zwei Menschen und nur ein Tier aber doch drei gleichgesinnte Seelen, so will es scheinen. Die alte Stute schiebt sanft ihren Kopf auf die Schulter ihres Herrn und nicht einmal der Futterknecht ihres jetzigen Arbeitgebers wagt es, in dieses feierliche Geschehen einzugeifen.



In fremdem Marschland haben die Grosans jetzt eine winzige Siedlerstelle. Sie sind es gewohnt mit der Natur einen schweren Kampf zu führen und diese Arbeit dennoch zu lieben. Die alte Liese zieht wie einst zu Hause den Pflug durch den Boden, sie schaffen vom Morgen bis zum späten Abend. Doch wenn im Westen die Sonne blutrot über dem See steht, wandert des Bauern Blick voller Sehnsucht nach dem dunklen, versinkenden Osten, wo weit, weit hinten seine Heimat liegt. Er nimmt die gute Liese an den Zügel und Beide wandern müde auf die Siedlung zu. Die Gespräche, die abends im heimatlichen Stall geführt wurden, sind längst verstummt. Nur wenn die weiche Pferdenase wie tröstend das Gesicht des Bauern Grosan sucht, hört man ihn die alles sagenden Worte murmeln:
 "Ja, ja meine Lieske"




4 Kommentare:

  1. Hi!

    Schöner Blog, ich verfolg dich mal. wenn du magst schau doch mal bei mir vorbei.

    http://pinkisplauderstube.blogspot.de/

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  2. Hallo Annette, ich hoffe, dass Du eine Nachricht bekommst, wenn ich hier einen Kommentar in Deinen Blog schreibe. Du wirst ganz dringend gesucht von jemand, der früher mal Prelude gehört hat und die gern wissen möchte, wie es ihr geht. Ich habe ihr gesagt, sie ist bei Dir in besten Händen, aber sie versucht schon wochenlang, Dich telefonisch zu erreichen. Ich versuch mal zu helfen. Melde Dich doch mal bei mir.
    LG
    Renate

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  3. Sorry ... es ist was schief gegangen. Ich möchte an Deinen Blog das Stöckchen zum Blog-Award auch weitergeben. Wenn Du mitmachen möchtest, findet Du mehr Infos, wie das geht hier:

    http://pferde-tiere-gesundheit-soziales-zeit.blogspot.de/2014/03/blog-award.html

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  4. Hallo Anette,

    wie geht es dir denn? Schade, dass du nicht mehr hier schreibst. Ich lasse mal liebe Grüße da.

    ♥lich Carola

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